Whisky bei Vollmond


Ruedi Käser stellt 13 Whiskyflaschen und 13 Gläser auf den Tresen. Dann beginnt er, einzuschenken. Es ist früher Nachmittag, die Wintersonne scheint auf das Ensemble, so dass der Whisky in den Gläsern goldgelb leuchtet. Die 13 Flaschen stammen aus Käsers eigener Produktion. Drei Marken sind bereits im Handel, die anderen zehn sind im Versuchsstadium und müssen erst noch reifen.


Wir sitzen im Whisky Castle im Schweizer Kanton Aargau. Eigentlich war es ein Pfarrhaus aus dem 8. Jahrhundert, aber weil der Pfarrer den Zehnten eintrieb und sich wie ein König aufführte, bezeichneten die Leute sein Haus spöttisch als Schloss. Es wurde von der Familie Käser vor über 200 Jahren übernommen.

Käser baute 2006 ein „Whisky-Schloss“ im Stil eines US-amerikanischen Farmhauses an, das innen ein bisschen an eine Kirche erinnert. „Wo die Orgel hingehört, steht bei mir die Bar“, sagt Käser. „Es ist das jüngste Schloss der Schweiz.“ Er hat es mit einem echten Potstill-Brennhafen ausgerüstet, wie ihn die Schotten für ihren Whisky benutzen. Der Brennapparat besteht aus einer von Hand gehämmerten Kupferblase und einer Art Schwanenhals, der den Dampf auffängt und ihn zu Alkohol destilliert, aus dem später der Whisky wird.


Schweizer Whisky? Das hört sich an wie schottisches Käsefondue. Bis 1999 war das Destillieren von Grundnahrungsmitteln wie Getreide oder Kartoffeln in der Schweiz verboten. Importe wurden doppelt so hoch besteuert wie Schweizer Obstbrände. Dann wurde das Alkoholgesetz geändert, und inzwischen gibt es sechs Whiskybrenner in der Schweiz. Der beste von ihnen ist Käser. Der 43-jährige mit schütterem Haar ist ein freundlicher Mann, der stets gut gelaunt scheint. Wer einen Keller mit so vielen Whiskyfässern besitzt, hat dazu auch allen Grund.


Im Gegensatz zu Österreich hatte die Schweiz nie eine besondere Schnapskultur. Es ging eher darum, die Reste zu verwerten. Um seinen Landsleuten Whisky nahe zu bringen, veranstaltet Käser „Whiskynächte“, bei denen die Teilnehmer mit einer von Käsers Frau Franziska zubereiteten Mahlzeit bewirtet werden. Sie besteht aus vier Gängen, die aus vier verschiedenen Whiskyländern stammen. Zu jedem Gang gibt es den passenden Whisky, während Käser seine Brennanlage anwirft und den Herstellungsprozess erklärt.


Ich probiere einen Single Malt aus Gerstenrauchmalz, der in der Potstill destilliert wurde und anschließend 1160 Tage im Sherryfass lagerte. „Den Whisky nimmt man mit nach Hause“, sagt Käser. Nach einem Probeschluck weiß ich, was er meint: Der Whisky entfaltet im Mund eine ungeahnte Breite, die selbst der schottische Referenzwhisky Bruichladdich nicht erreicht. Dabei ist Käsers Whisky durchaus mild, man schmeckt leichte Töne von Kaffee und Karamell.


Der Dinkelwhisky hingegen, der noch lange nicht auf den Markt kommt, ist sehr gewöhnungsbedürftig, merke ich an. „Es ist ja erst zwei Jahre alt“, wendet Käser ein. „Er verdient eine Chance. Nach zehn Jahren im Eichenfass ist er besser.“ Vielleicht. Aber der Whisky aus Roggenrauchmalz ist mir lieber, er schmeckt jetzt schon. Zu Ostern bringt Käser einen Vollmondwhisky für Esoteriker auf den Markt: Das Getreide wurde bei Vollmond geerntet und gebrannt, das Wasser bei Vollmond geschöpft.


Früher war Käser Obstbauer. „Alle zwei Jahre hatten wir so viele Äpfel, dass wir nicht wussten, was wir damit machen sollten“, sagt er. „Das Zeug wuchs praktisch an den Laternen.“ So gab er den Überschuss 1994 zum ersten Mal in eine Brennerei. Das Produkt reichte er bei einem Wettbewerb im österreichischen Klagenfurt ein und erhielt es mit der Bemerkung zurück: „Nicht trinkbar.“


Das stachelte seinen Ehrgeiz an. Er begann, selbst zu brennen, und zwei Jahre später gewann er mit seinem Apfelbrand der Sorte „Berner Rosen“ den ersten Preis bei der Destillata in Wien, der wichtigsten Edelbrandverkostung Europas. „Ich wollte aber nicht nur mit einem Brand gewinnen, sondern Gesamtsieger werden“, sagt er. 2002 war es so weit. „Ich bin der einzige Schweizer, der die Österreicher geschlagen hat“, erzählt er stolz von seinem Nobelpreis der Schnapsbranche. Inzwischen hat er 175 Medaillen eingesammelt, der Schweizer Bundesrat hat ihm sechs Mal den Innovationspreis der Nahrungsmittelbranche verliehen.


Da er alles erreicht hatte, was man als Obstbrenner erreichen kann, fing er an, andere Naturprodukte zu brennen: Mohn und Thymian, Zimt und Schokolade – und Knoblauch zum Flambieren von Fleisch. Selbst Geranien hat er zu Schnaps verarbeitet. Die größte Herausforderung aber ist der Whisky. Darüber hinaus sei das Image eines Whiskyherstellers besser als das eines Obstbrenners, unter dem man sich „einen betrunkenen Mann mit roter Nase vorstellt“, sagt er. In Schottland war Käser noch nie. Dort will er erst hin, wenn sich sein eigener Whisky etabliert hat, denn er will sich nicht von der großen Tradition Schottlands einschüchtern oder beeinflussen lassen.


Er produziert nicht mehr als 10.000 Liter Whisky im Jahr. Zum Vergleich: Erodur, die kleinste schottische Brennerei, stellt 500.000 Liter im Jahr her. „Wir machen nur nummerierte Serien“, sagt Käser. „Wir können ja nicht mit dem Alter der schottischen Whiskys konkurrieren. Lagerten wir den Whisky 20 Jahre im Fass, wären wir längst pleite. Also müssen wir neue Wege gehen.“ Er experimentiert mit Fässern unterschiedlicher Größe aus ungarischer, US-amerikanischer, weißrussischer und französischer Eiche. „Wir sind eine Boutique-Brennerei“, sagt er, „unser Whisky ist ein unverwechselbares Nischenprodukt.“


Ich habe mich inzwischen zum 60-prozentigen Nischenprodukt aus Gerstenrauchmalz vorgearbeitet, der trotz seiner hohen Drehzahl angenehm mild ist. Und als ich dem Dinkelwhisky die dritte Chance gebe, ahne ich, dass daraus in sieben, acht Jahren ein grandioser Tropfen werden könnte.

 

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