beten statt saufen – von RALF SOTSCHECK


Irland ist pleite, und die "Pioneers" sind es auch. Die haben nichts mit der Kinderorganisation in der DDR zu tun - im Gegenteil. Während die Jungen Pioniere Bier und mildem Braunen nicht abgeneigt waren, haben sich die geriatrischen "Pioneers" aus Irland dem Kampf gegen den Alkohol verschrieben. Ihr vollständiger Name lautet "Pioneer Total Abstinence Association (PTAA)". Die Mitglieder müssen stets eine Anstecknadel tragen, damit man sie schon von Weitem erkennt und ihnen nicht versehentlich einen Whiskey anbietet.

 

Der Vorsitzende Pádraig Brady klagt: "Unser Verband steht unmittelbar vor der Schließung, wenn wir nicht sofort Geld erhalten." Man habe vergessen, mit der Zeit zu gehen, meint Brady. "Unsere Bewegung beruht zuallererst auf dem Gebet", sagt er. "Viele meinen, wir sollten uns darauf konzentrieren und nicht versuchen, etwas zu sein, was wir nicht sind." Den "Pioneers" fehle eine ganze Generation, die Mitgliedschaft ist völlig überaltert. Wenn man allerdings glaubt, mit der Zeit zu gehen, indem man sich auf das Beten konzentriert, so wird sich an der Altersstruktur der Organisation wenig ändern.

 

Und ist beten denn so teuer, dass man dringend Geld braucht? Die "Pioneers" sitzen auf Schulden in Höhe von 100.000 Euro. Was haben sie mit dem Geld angestellt? Sie werden es ja nicht versoffen haben. Ein Teil ist wohl von der Zeitschrift Pioneer versenkt worden, deren Auflage von 35.000 in den sechziger Jahren auf heute 11.000 gefallen ist. Nicht mal die eigenen Mitglieder wollen das Blatt noch lesen. Laut Brady gibt es immerhin 100.000 "Pioneers", obwohl sich die Zahl schwer überprüfen lässt, da der Verband keine Datenbank führt. Jedenfalls will Brady von diesen 100.000 Abstinenzlern jeweils zehn Euro kassieren, um die Schulden zu begleichen. Wer nicht trinkt, kann auch nicht rechnen, meint Brady offenbar. Wenn er es schafft, den Mitgliedern eine Million aus der Tasche zu ziehen, hat er sich ein Fläschchen Champagner verdient.

 

Die "Pioneers" sind 1898 vom Jesuitenpfarrer James Cullen in Dublin gegründet worden. Ihr berühmtestes Mitglied war Matt Talbot, ein Alkoholiker, der ständig pleite war. Weil ihm eines Tages keiner seiner Freunde ein Bier spendieren wollte, entsagte er dem Alkohol und lebte fortan als Asket. Als er 1925 auf der Straße tot zusammenbrach, stellte man fest, dass er sich zur Buße schwere Ketten um Hüfte, Arme und Beine gelegt hatte. US-amerikanische Katholiken verehren ihn seitdem als Schutzheiligen der Alkoholiker. Ein nicht geläuterter Alkoholiker, der Dubliner Schriftsteller Brendan Behan, schrieb dagegen, dass Talbot das Gespött der ganzen Stadt gewesen sei.

 

Wozu gründet man einen Verband von Gleichgesinnten, um etwas nicht zu tun? Können die Leute nicht einfach zu Hause bleiben und nicht trinken? Ich zum Beispiel verbringe meine Zeit gerne damit, kein Heroin zu nehmen. Aber brauche ich dafür gleich eine Organisation? Nun ja, warum eigentlich nicht? Wer beitreten möchte, darf mir gerne zehn Euro überweisen.

 

 

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